
Endgültiger Reichsfluchtsteuerbescheid, ausgestellt für Alexander und Louise Zemlinsky am 20. 8. 1938 in Wien. Die Höhe der zu entrichtenden Steuer betrug nach Verordnung vom April 1938 ein Viertel des Gesamtvermögens der Flüchtenden.
„Ich komme mit dir.”
Zemlinsky zu seiner zur Flucht entschlossenen Frau, 1938
Nach dem „Anschluss" Österreichs im März 1938 erwog die dreiköpfige Familie Zemlinsky schon bald, in die USA auszuwandern. Als ersten Schritt beantragte Zemlinsky am 7. 5. ein Einreisevisum nach Prag, das er im Juni mit viermonatiger Gültigkeit erhielt. Zugleich versuchte seine Jugendliebe und Schwester seiner ersten Frau, Melanie Guttmann-Rice, die bereits 1901 ausgewandert war, bei den amerikanischen Einwanderungsbehörden für die Zemlinskys ein Affidavit („Kapitalistenvisum”) zu erwirken, in dem sie sich verpflichtete, im Notfall für den Unterhalt der Immigranten aufzukommen. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt.
Noch blieb die Familie also in der Stadt. Der behördliche Weg zur Flucht war beschwerlich, und Zemlinsky fiel es unendlich schwer, seine Heimat aufzugeben – auch wenn die heraufdämmernde Katastrophe jetzt auch im Wortsinn die Haustür des Komponisten erreicht hatte: Als die Nationalsozialisten eines Tages an die Tür in der Kaasgrabengasse klopften, war es nur der Geistesgegenwart Louises, die ihnen eine Spende anbot, zu verdanken, dass es nicht zu Schlimmerem kam. Wie Louise später berichtete, hat Zemlinsky in dieser Zeit erwogen, wieder zum Judentum zu konvertieren.
Im Herbst endlich konnte sich die Familie zur Flucht entschließen. Zahllose weitere Formalitäten mussten erledigt werden. Am härtesten traf sie die Zahlung einer Reichsfluchtsteuer in Höhe von 27.718 RM – dies entsprach in etwa dem Wert des Hauses in der Kaasgrabengasse.
Am 10. 9. verließen die Zemlinkys Wien. Mit je acht Dollar „Reise-Freibetrag" in der Tasche fuhren sie nach Prag und lebten dort zunächst bei der Mutter Louises. Neun Wochen später reisten sie über Rotterdam nach Boulogne, wo sie sich am 14. 12. auf der SS „Statendam" einschifften. Sie erreichten New York am 23. 12. Ihr Hab und Gut, dessen Transport ihre Haushälterin organisiert hatte – darunter ihre Möbel und die Manuskripte Zemlinskys –, erreichten die Stadt am 25. 1. 1939. Ein Manuskript allerdings gehörte zu den wenigen Gepäckstücken, die Zemlinsky auf der langen Reise selbst mit sich führte: Seine neue Oper „Der König Kandaules”.
Endgültiger Reichsfluchtsteuerbescheid, ausgestellt für Alexander und Louise Zemlinsky am 20. 8. 1938 in Wien. Die Höhe der zu entrichtenden Steuer betrug nach Verordnung vom April 1938 ein Viertel des Gesamtvermögens der Flüchtenden.
Steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung, ausgestellt für Alexander und Louise Zemlinsky am 5. 9. 1938 in Wien. Diese Bescheinigung wurde erst dann ausgestellt, wenn die Zahlung der „Reichsfluchtsteuer" bei den Behörden eingegangen war.
Zemlinskys letzter Reisepass, ausgestellt am 7. 9. 1938 in Wien. Die Initiative zur Flucht aus Wien hatte Louise Zemlinsky ergriffen. Später erinnerte sie sich: „Als Hitler nach Österreich kam, hab ich mich entschlossen, am nächsten Tag auf die amerikanische Gesandtschaft zu gehen und um ein Visum anzusuchen. Ich habe Zemlinsky gefragt, ob er in Wien bleiben will. Er wollte sich's überschlafen. Am nächsten Morgen sagte er zu mir: ,Ich komme mit dir.” Es dauerte jedoch noch bis zum Herbst, bis die Familie Europa tatsächlich verließ. Die Flucht begann am 10. 9. 1938 mit der Reise von Wien nach Prag. In den neun Wochen, die die Zemlinskys dort blieben, erlebten sie Zustände, die kaum anders waren als in Wien. Auch hier mussten wieder viele Formalitäten erledigt werden, unter anderem die Beantragung eines amerikanischen Einreisevisums „on the quota” (ohne Unterhaltsnachweis). Am 11. 11. traf dieses Dokument ein, am 2. 12. verließ die Familie Prag. Der Weg ging zunächst per Flugzeug nach Belgien, dann per Bahn nach Rotterdam und von dort per Schiff zunächst nach Boulogne, von wo am 14. 12. die Fähre in die Neue Welt ablegte.
Alien Registration Receipt Card mit dem Fingerabdruck Zemlinskys, um 1940. Das Dokument war eine Art Personalausweis für Nicht-Amerikaner, ausgestellt von der Einwanderungsbehörde.