Exodus aus Wien
Wien – Prag – New York 1938

„Ich komme mit dir.”
Zemlinsky zu seiner zur Flucht entschlossenen Frau, 1938

Nach dem „Anschluss" Österreichs im März 1938 erwog die dreiköpfige Familie Zemlinsky schon bald, in die USA auszuwandern. Als ersten Schritt beantragte Zemlinsky am 7. 5. ein Einreisevisum nach Prag, das er im Juni mit viermonatiger Gültigkeit erhielt. Zugleich versuchte seine Jugendliebe und Schwester seiner ersten Frau, Melanie Guttmann-Rice, die bereits 1901 ausgewandert war, bei den amerikanischen Einwanderungsbehörden für die Zemlinskys ein Affidavit („Kapitalistenvisum”) zu erwirken, in dem sie sich verpflichtete, im Notfall für den Unterhalt der Immigranten aufzukommen. Der Antrag wurde jedoch abgelehnt.

Noch blieb die Familie also in der Stadt. Der behördliche Weg zur Flucht war beschwerlich, und Zemlinsky fiel es unendlich schwer, seine Heimat aufzugeben – auch wenn die heraufdämmernde Katastrophe jetzt auch im Wortsinn die Haustür des Komponisten erreicht hatte: Als die Nationalsozialisten eines Tages an die Tür in der Kaasgrabengasse klopften, war es nur der Geistesgegenwart Louises, die ihnen eine Spende anbot, zu verdanken, dass es nicht zu Schlimmerem kam. Wie Louise später berichtete, hat Zemlinsky in dieser Zeit erwogen, wieder zum Judentum zu konvertieren.

Im Herbst endlich konnte sich die Familie zur Flucht entschließen. Zahllose weitere Formalitäten mussten erledigt werden. Am härtesten traf sie die Zahlung einer Reichsfluchtsteuer in Höhe von 27.718 RM – dies entsprach in etwa dem Wert des Hauses in der Kaasgrabengasse.
Am 10. 9. verließen die Zemlinkys Wien. Mit je acht Dollar „Reise-Freibetrag" in der Tasche fuhren sie nach Prag und lebten dort zunächst bei der Mutter Louises. Neun Wochen später reisten sie über Rotterdam nach Boulogne, wo sie sich am 14. 12. auf der SS „Statendam" einschifften. Sie erreichten New York am 23. 12. Ihr Hab und Gut, dessen Transport ihre Haushälterin organisiert hatte – darunter ihre Möbel und die Manuskripte Zemlinskys –, erreichten die Stadt am 25. 1. 1939. Ein Manuskript allerdings gehörte zu den wenigen Gepäckstücken, die Zemlinsky auf der langen Reise selbst mit sich führte: Seine neue Oper „Der König Kandaules”.