Der König Kandaules / II
Finale Synthese

„Kandaules hat meinen Schleier zerrissen.”
„Der König Kandaules”

„Der König Kandaules” ist ein im Schatten des Nazismus entstandenes Bekenntniswerk, in dem sich autobiografische und zeitgeschichtliche Dimensionen vielfältig durchdringen. Zemlinsky hat noch einmal eine große emphatische Oper geschrieben, in der er die Quintessenz seines kompositorischen Schaffens zieht. Die Partitur ist voller Bezüge auf eigene frühere Werke; in der stellenweise kühnen Verbindung heterogener Stilschichten werden gleichsam Stationen seiner 40jährigen Kompositionsgeschichte vergegenwärtigt. Auch wenn die Oper keinen radikalen Neubeginn markiert, trifft ihre „integrative” Kompositionsästhetik durchaus den Nerv der Zeit. Die Tonsprache des „Kandaules” ist nicht nur Ausdruck von Zemlinskys Skepsis gegenüber dem potentiell einengende Postulat der Stilreinheit, sondern auch der kompositorischen Wirklichkeit der 30er Jahre und ihrer Suche nach verbindlichen ästhetischen Kategorien.

Zemlinskys Deutung des Dramas, das in stellenweise diskursiver Diktion moralische und ästhetische Fragen verhandelt, ist eine letzte Auseinandersetzung mit der leitenden Idee seines Vokalschaffens, der Antinomie von Fantasiewelt und Realität. Vor dem Hintergrund des Exils und der drohenden Katastrophe des Krieges erhält diese Thematik eine höchst aktuelle Bedeutung. Das Motto, mit dem Gides Drama beginnt, wird bei Zemlinsky zur vieldeutigen Botschaft: „Der sein Glück hält, soll sich gut verstecken! Und besser noch, sein Glück vor andern.” Am Ende ist dieses Glück nicht nur entdeckt, sondern zerschmettert. Der König ist ermordet, die Königin entschleiert, ungerührt bringen die Höflinge einen Toast auf Gyges, den neuen König.

Die von Peter Ruzicka und Gerd Albrecht, den künstlerischen Leitern der Hamburgischen Staatsoper, in die Wege geleitete Uraufführung am 6. 10. 1996 war nicht nur für die „Wiederentdeckung” Zemlinskys ein letzter Höhepunkt, sondern auch ein musikgeschichtliches Ereignis von einiger Tragweite. Neben Bergs „Lulu”, Kr¹eneks „Karl V.” und Hindemiths „Mathis der Maler” ist nun eines der wenigen in den 30er Jahren entstandenen Werke des Musiktheaters zugänglich, das sich zur Tradition der Gattung bekennt und zugleich kritisch mit den Themen der Zeit auseinandersetzt.