Der Opernkomponist / III
Der Kreidekreis – unvollendete Projekte

„Ich lese jetzt wie verrückt, um bald etwas Neues komponieren zu können.”
Zemlinsky

Mit seiner siebten Oper „Der Kreidekreis” (1930–32) entfernte sich Zemlinsky in mancher Hinsicht von dem bisher bei ihm vorherrschenden Typus der psychologisierenden Charakteroper. Klabunds „Spiel nach dem Chinesischen” „Der Kreidekreis” (1925), das auf ein altes chinesisches Märchenspiel zurückgeht und das Zemlinsky selbst als Libretto einrichtete, ist kein Seelendrama, sondern eine sozialkritische Parabel. Im Zuge der damaligen China-Mode war das Bühnenstück seinerzeit ein großer Erfolg.

Auch musikalisch reagierte Zemlinsky auf aktuelle Tendenzen: Er verband seinen eigenen, lyrisch-expressiven Ton mit fernöstlichem Kolorit, Stilmitteln des Jazz und der „Zeitoper” und fügte das Ganze in eine Form, die mit gesprochenen Dialogen zwischen den Szenen dem epischen Theater und dem Singspiel nahesteht. Bewundernswert ist die Ökonomie der Mittel: Zemlinsky gelingt es, das Milieu und die holzschnittartigen Figuren präzise darzustellen und zugleich die Geschichte der Haitang, der wohl stärksten Frauenfigur aller seiner Opern, auf sehr persönliche Weise zu erzählen.

„Der Kreidekreis” zeitigte eine tragische Parallele zwischen Bühnengeschehen und dem wirklichen Leben:  Die Oper, die um die Unmenschlichkeit eines despotischen Regimes kreist, wurde selbst ein Opfer politischer Willkür. Nach der erfolgreichen Züricher Uraufführung am 14. 10. 1933 und der deutschen Erstaufführung in Stettin (1934) wurde sie von den Nazis zensuriert und gekürzt, dann von den Bühnen verbannt. Erst 1955 kam es in Dortmund wieder zu einer Aufführung der Oper, die sein größter Erfolg zu werden versprach, hatten doch 1933 gleich mehrere Bühnen um das Recht auf die Uraufführung gewetteifert. Zieht man die acht vollendeten, neun unvollendeten und zahllosen schon während der Lektüre verworfenen Opernprojekte zusammen, hat sich Zemlinsky sein Leben lang mit der Opernkomposition beschäftigt. Viele der Projekte scheiterten aus textlichen, nicht aus musikalischen Gründen. In Stilfragen war Zemlinsky hier zwar sehr offen, umso skrupulöser aber bei der Suche nach Stoffen mit einer dramatischen Idee, die seinem Naturell entsprachen.