Brief Gustav Mahlers an Zemlinsky, undatiert, vor 1904: „Es war mir eine Freude, Ihnen meine Zugehörigkeit zu Ihren Bestrebungen und meine vollste Sympathie für Ihre Ziele mündlich auszudrücken. – Da Sie es nun als förderlich oder geziemend betrachten, daß ich meinen Glauben an die Zukunft durch die Annahme eines Titels auch öffentlich bekenne, so nennen Sie mich denn wie Sie wollen. […]” Mahler war am 23. 4. 1904 zum Ehrenpräsidenten der von Zemlinsky und Schönberg gegründeten „Vereinigung schaffender Tonkünstler” gewählt worden.
Am Rande der Wiener Schule
Zemlinsky und die Musik seiner Zeit
„Dabei ist alles, was Zemlinsky schreibt, zeitnahe, zeitgemäße, nur eben nicht Modemusik.”
Hans Heinsheimer
Zemlinsky war ein Komponist mit einer „seismografischen” Reaktionsfähigkeit auf seine musikalische Umwelt. Dies gründete in erster Linie in seinem künstlerischen Naturell, dem es – im Gegensatz zu Arnold Schönberg – fern lag, ästhetische Kriterien zu verabsolutieren und eine Reinheit des Stils anzustreben. Konsequenz um ihrer selbst willen war Zemlinsky fremd, stattdessen war er stets bereit, auf Neues zu reagieren und auch einander Fremdes in seiner Musik zu vermitteln. So deutlich sich in vielen seiner Werke Einflüsse anderer Komponisten zeigen, so weit entfernt sind diese Bezüge von bloßer Nachahmung. Vielmehr hat Zemlinsky im Sinne eines „produktiven Eklektizismus” Tendenzen der Zeit aufgenommen und mit seinem eigenen Idiom verschmolzen. Voraussetzung dafür war neben einer ausgeprägten musikalischen Persönlichkeit das Vermögen, fremde Ausdrucksformen zu verinnerlichen – und dieses besaß Zemlinsky nicht zuletzt durch seine große dirigentische Erfahrung in hohem Maße.
Nach den frühen Jahren, die noch im Zeichen der Vermittlung Brahms'scher und Wagner'scher Stilelemente standen, war es vor allem Gustav Mahler, der einen bedeutenden Einfluss auf Zemlinsky hatte – als Komponist, Dirigent und geistiges Vorbild. Auch Mahler schätzte Zemlinsky sehr. Rudolf Stefan Hoffmann schrieb noch 1910: „Es ist […] nicht zu erfahren, ob Zemlinsky der Mahler-Clique oder Mahler der Zemlinsky-Clique zuzurechnen ist.” Der andere große Virtuose im Umgang mit dem Orchester, Richard Strauss, war als Person Zemlinsky sicher fremder, doch erinnert manches, besonders in den mittleren Opern, an den expressiven Strauss der „Salome” und „Elektra". Seit den späten 20er Jahren hat sich Zemlinsky zunehmend auch einer Musik geöffnet, die ihre Wurzeln nicht in Wien und der Aufbruchsstimmung der Jahrhundertwende hat. So scheinen Stilelemente eines Weill, Hindemith, Kr¹enek und Bartók auf. Der Komponist aber, der zu dieser Zeit Zemlinsky sowohl musikalisch als auch menschlich am nächsten war, war schließlich doch ein Wiener: Alban Berg. Nachdem Zemlinskys Kontakt zu Schönberg seit 1927 unterbrochen war, hat Berg, wie es scheint, Schönbergs Stelle als Vertrauter der „Wiener Schule” eingenommen.